Seite 8 | September 2016 |
Jegg - L i fe
WARUM machen uns
Expertenforum Erich Cagran
Überfallsartig brechen Sturm und Regen los. Gerinne werden
zu reißenden Bächen, Tiefgaragen und Keller überflutet. Heuer
besonders im nördlichen Umland von Graz. Klartext imExper-
tenforum, das uns alle angeht: Irgendwo ist es einmal aus.
Mögenuns die punktuellen Stark-
regen der letzten Zeit manchmal
zum Begriff der „Sintflut“ ani-
miert haben: Die Niederschläge
selbst sind nicht so stark wie sie
punktuell empfunden werden,
belegt der Meteorologe. „Andere
Mechanismen wirken gravieren-
der“. Abteilungsbrandinspektor
Bernhard Konrad spricht gleich
die Warnung an: „Ich vertraue
dem Wetterradar und den War-
nungen nicht – erst heute (29.
August) gab es schon 5 Warnun-
gen und keinen Tropfen Regen“.
Grund: Das „Radar“ ist für alle
gleich, Versicherungen, Landes-
warnzentrale, Feuerwehen – aber
alle deuten es anders.
50 Prozent vermeidbar
Am Beispiel des Expertenforums
am29. August, wo selbst der Flug-
hafen Graz für Stunden gesperrt
werden musste, führte Alexander
Podesser (ZAMG) dem Forum
vor Augen: In 15 Minuten fielen
32 mm Regen, 84 mm in knapp
2 Stunden. Auf der ZAMG-Wet-
terkarte war eine Stunde davor
nur ein kleiner Gefahrenpunkt
zu sehen. So wie 30 andere auch.
Da ist eine zeitgerechte Warnung
unmöglich. Wobei selbst der Be-
griff „Warnung“ nach dem Wie
frägt. Katastrophenforscher Ger-
hard Grossmann simpel, fast naiv
klingend: „Schaut einfach zum
Fenster raus, da sieht man, was
kommt…“
InderAnalysederheurigenEreig-
nisse im Raum Gratwein-Straß-
engel, aber auch vergangener
in Gratkorn oder Graz-Andritz
stellt Hofrat Rudolf Hornich
(Wasserwirtschaft des Landes)
klar: „70 Prozent der Ereignis-
se sind nicht klassisch, sprich:
durch Bäche als Erreger, sondern
durch Oberflächenwässer insbe-
sondere von landwirtschaftlichen
Flächen hervorgerufen. Von die-
sen 70 Prozent wiederum wären
50 Prozent vermeidbar. Etwa ein
Hochziehen von Mauern um
Lichtschächte bei Häusern von
5 – 10 cm würden zumeist schon
reichen“.
Feuerwehr-Ruf vor Regen
Für das Aufräumen nach Ereig-
nissen wird die Feuerwehr geru-
fen. Die Vorsorge jedes Einzelnen
wird aber (fast) nie thematisiert.
ABI Konrad: „Die Leute verlan-
gen von uns diese Dienstleistung
und fragen meist, warum wir so
lange brauchen. Selbst grenzwer-
tige Beschimpfungen bekamen
wir mehrfach zu hören. Dabei
machen wir das ehrenamtlich“.
Konrad
unmissverständlich:
„Wir sind nicht für die Ursachen
zuständig. Hätten viele der heute
Betroffenen die Bauvorschriften
beachtet und keine derartigen
Baumängel, bräuchten wir nicht
zum Auspumpen von Kellern,
wo vielleicht 10 cm Wasser ste-
hen, das zumeist sogar zu gering
für unsere Hochleistungspumpe
ist, ausrücken“.
Der Meteorologe weiß in diesem
Kontext sogar von Anfragen von
„Betroffenen“, an welchen Tagen
in seinem Wohnbereich genug
Regen gefallen sein könnte, um
glaubhaft eine Meldung für ir-
gendwelche Schäden am Haus
bei der Versicherung machen zu
können. Das ist deutlich. Diese
Wahrnehmung korrespondiert
auch mit Erlebtem von Bernhard
Konrad: „Eine SMS-Regenwar-
nung einer Versicherung veran-
lasste eine Frau bei der Feuer-
wehr anzurufen. Sie forderte das
Auspumpen ihres überfluteten
Kellers. Die Feuerwehr kam, es
war niemand zu Hause und auch
kein Wasser im Keller, denn es
hatte nicht einmal noch zu reg-
nen begonnen“. Das ist system-
gefährdend.
Gefahren-Hotspot Steiermark
Warum treten diese Ereignisse
kleinräumig immer häufiger und
stärker auf? Die ZAMG-Groß-
wetter-Beobachtung lässt Alex-
ander Podesser mit Blick auch
auf die zunehmende Erwärmung
des Mittelmeeres sagen: „Kärn-
ten und die Steiermark sind ein
permanenter „Hotspot“, also in
der roten Gefahrenzone. Das
hängt vor allem auch mit der
Südstaulage vor den Alpen zu-
sammen“. Warum ist es einmal
kalt, dann heiß, einmal trocken,
dann feucht – ähnlich den Ge-
zeiten? „Das heurige Jahr ent-
sprich durchaus üblichen Wetter-
schwankungen. Vor 2 Jahren war
es relativ kühl. 2009 war Graz
von ähnlichen Starkregen-Kon-
zentrationen betroffen. Ein Blick
noch weiter zurück: Vor 100 Jah-
ren hatte Graz einen Sommer
mit 650 mm Niederschlag – das
ganze Herz-Jesu-Viertes stand
unter Wasser“. Heißt auch: unter-
schiedliche Auswirkungen zwi-
schen urbanem und ländlichem
Raum.
Informationen fehlen
Einig sind sich der Soziolo-
ge Grossmann und Feuer-
wehr-Kommandant
Konrad:
Die Information und Kommu-
nikation ist mehr als mangelhaft
um die nötige Prävention in der
Bevölkerung den immer stär-
ker ausgeprägten Ereignissen
entgegen zu setzen. „Die Leute
wissen oft gar nicht, wo sie an-
rufen sollen wenn´s brennt oder
das Wasser bis zum Keller steht“,
weiß Konrad. Prof. Grossmann
anhand von Studien: „Mehr als
40 Prozent der Schäden wären zu
verhindern, würde man schon im
Frühjahr entsprechende Vorsor-
gemaßnahmen treffen. Oft sind
es einfache Dinge wie das Hö-
herstellen von Gefriertruhen im
Keller. Oder sich Wissen aneig-
nen, etwa, dass man Autos beim
Rausstellen aus der Tiefgarage
nicht vor demHaus parkt, um die
Feuerwehrzufahrt freizuhalten“.
Er sieht aber auch das vitale Pro-
blem: „Leuten kann man nicht
schnell was beibringen, älteren
erst recht nicht“.
Klartext beim Expertenforum
(v.l.): Bernhard Konrad, Rudolf Hor-
nich, Gerhard Grossmann, Alexander Podesser
Hofrat Rudolf Hornich:
„Die Verwaltung muss künftig
stärker in die Information und
Kommunikation mit der
Bevölkerung gehen“.
Univ.-Prof. Gerhard
Grossmann:
„Wir sind anfällig wie
nie zuvor – wir müssen uns
daher rasch klarmachen:
irgendwo ist es aus“.