echtLife 4 2020

Seite 32 | November 2020 | echt Life Im Zuge der dramatischen gesundheitli- chen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und den damit verbundenen großen gesellschaftlichen wie auch persön- lichen Einschränkungen und Herausforde- rungen möchten wir hier einen Bühnenspot auf einen Bereich lenken und beleuchten, der vielleicht nicht immer die Aufmerksamkeit bekommt, die er jedoch zweifellos verdient. Österreich ist eine Kulturnation. Punkt. Gilt dieses gerne gepflegte Narrativ auch in diesen Wochen und Monaten? Wie bewältigen etwa Künstler und Veranstalter diese Ausnahmesi- tuation, die mitunter schon Züge einer „neu- en“ Normalität aufweist? Abseits der großen, vornehmlich urbanen Kulturinstitutionen er- möglicht der Blick auf kleinere künstlerische Projekte die Realität der großen Mehrheit der in diesem Segment mit viel Engagement und Kreativität tätigen Menschen vielleicht besser darzustellen. Erich Oskar Huetter lebt in Gratwein-Stra- ßengel, ist als Musiker international gefragter Cellist und veranstaltet mit Partnerin Tanja Schmid seit Jahren die haus.kultur in Graz und Graz-Umgebung sowie das Sounding Je- rusalem Festival in Israel. Andreas Braunen- dal veranstaltet mit dem Verein K3 die Stra- ßengler Herbstklänge, Literaturfestivals und andere künstlerische Projekte in der Region, lebt und arbeitet ebenfalls in Gratwein-Stra- ßengel. Erich Oskar Huetter : „Uns Künstler hat der Lockdown, aber auch die Maßnahmen da- nach, mit vielen, auch internationalen Kon- zertabsagen natürlich sehr eingeschränkt. Abgesehen vom finanziellen Aspekt leben wir ja vom und vor allem für das gemeinsa- me Zusammenspiel, von den Proben, von den persönlichen Beziehungen. Allein der Begriff 'Auftrittsverbot' stimmt einen da schon sehr nachdenklich. Und es ist ein ge- wisses Maß an Unsicherheit, das über allem schwebt, seriöse und verlässliche Planung maßgeblich erschwert und von der Konzep- Kunst, Kultur ... & Corona Für Kulturschaffende war dieses Jahr schon bisher mehr als herausfordernd. Seit dem zweiten Lockdown steht der Kulturbetrieb abermals nahezu still. Erfahrungen, Ansichten und Aussichten von Veranstaltern und Künstlern im kulturellen Notlaufprogramm. tion bis zum Konzertabend auch die fragilen Abhängigkeiten von so vielen Faktoren und Menschen deutlich werden lässt. Aber es ha- ben sich auch manche Chancen eröffnet. Sich mit den digitalen Möglichkeiten auch der Übertragung auseinanderzusetzen und diese zu implementieren – dieser Prozess hätte für uns wahrscheinlich ohne Not deutlich länger gedauert. „Sounding Jerusalem“ musste heu- er leider schon früh abgesagt werden. Analog zumindest, dafür streamen wir um Weih- nachten vom Dom im Berg ein Konzert aus Graz nach Jerusalem.“ Andreas Braunendal: Als Konzertveran- stalter waren bei unseren vier Konzerten der Straßengler Herbstklänge vor allem die Pub- likumsbeschränkungen und Abstandsregeln sowie der enorme logistische, weil legisti- sche Aufwand, besonders herausfordernd. „Das aufgrund der behördlichen Vorgaben selbstgesetzte Limit von 99 Besuchern in ei- ner Halle, die für über 500 ausgelegt ist, kann Veranstalter und Künstler nicht wirklich zu- friedenstellen. Die Besucher allerdings, die den Auftritten beiwohnten, waren sichtlich dankbar für die Möglichkeit überhaupt ein Konzert besuchen zu können. Unser geplan- tes Literaturfestival Ende Juni mussten wir unter Wahrung der damals geltenden Ver- ordnungen und Vorschriften im April absa- gen. Mitte Juni wurden die Maßnahmen ge- lockert und wir hätten die Veranstaltungen problemlos durchführen können. Aber so kurzfristig geht das dann nicht mehr. Mehr Planungssicherheit seitens der politischen Verantwortungsträger würde vieles immens erleichtern.“ Tanja Schmid: „Unsere haus.kultur in Graz und Gratwein konnte im Sommer beinahe wie geplant durchgeführt werden. Nur ein Konzert mussten wir schlussendlich absagen. Da die Konzerte hauptsächlich in Wohnsied- lungen und kleinen Hallen stattfinden, waren die Publikumsbeschränkungen nur bedingt ein Handikap. Umso mehr jedoch der exor- bitante Aufwand im Vorfeld und bei den Veranstaltungen selbst. Kartenreservierung, Platzanweisung, Abstandsregeln, Kontakt- datenerfassung u.a. waren für unser kleines Team fast schon grenzwertig. Die Resonanz des Publikums war, wie auch schon erwähnt, dafür einfach großartig.“ A. Braunendal: „Die neuerlich verschärf- ten Maßnahmen sind angesichts der Coro- na-Zahlen natürlich erforderlich. Nicht ganz nachvollziehbar ist, warum sie auch wieder die Kultur betreffen. Der Kulturbereich wies bisher keinen Infektionscluster auf, hat die höchsten Sicherheitsstandards und das Pu- blikum agiert generell sehr rücksichtsvoll, diszipliniert und mit Bedacht auf Selbst- und Fremdschutz. Ob man das beispielsweise in Baumärkten und Supermärkten auch so be- obachten kann, die aber offen haben, wage ich zu bezweifeln. Und wer meint, dass der Kul- turbereich nur eine kleine Randerscheinung sei: Österreichweit geschätzte 150.000 teils hoch spezialisierte Fachkräfte im Zentrum und Umfeld der Kultur sind für mich einfach keine vernachlässigbare Größe. Vielleicht er- folgen noch Korrekturen und zweckmäßige Adaptierungen, die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Als Fazit könnte man Bedeutung und Wesen von Kultur vielleicht noch so beschreiben: Sie ist keine Randerscheinung für Minderheiten oder gar ein Hobby. Sie ist die farbige Essenz einer Gesellschaft, das Hämoglobin im frei fließenden Blutkreislauf ihres komplexen Or- ganismus. Erich Oskar Hütter Foto: Christian Jungwirth Andreas Braunendal (3. v. r.) mit den Musikern Ewald und Paul Pfleger, Kurt Gober sowie Andreas Fabianek (Tontechnik) und Gottfried Reyer (K3 Verein) Foto: Michael Krobath Manfred Wusser Foto: Christian Jungwirth Foto: Michael Krobath

RkJQdWJsaXNoZXIy NjM5MzE=