echtLife Juni 2021

Seite 34 | Juni 2021 | echt Life „ “ Darf Satire alles oder ist heute alles schon Satire? Karl Kraus, Fritz Grünbaum, Georg Kreisler, Helmut Qualtinger und viele andere. Sie gelten heute als große Meister ihrer Kunstform und die Kulturnation Österreich hat sie in ihrer späten Identitätsfindung mittlerweile anerkennend und wohlwollend assimiliert. Zu Lebzeiten begleiteten sie jedoch teils heftige Kritik, Empörung und Spott. Die Fragestellung schien gestern wie heute dieselbe zu sein: Was darf Satire und wo liegen ihre Grenzen - auch imWandel der Zeit? Dazu baten wir den Kabarettisten, Pianisten und Multitalent Jörg Martin Willnauer zu einem Künstlergespräch und zu Einblicken in das Genre Kabarett. Herr Willnauer, als Kabarettist, Chanso- nier und Buchautor sind Sie im gesamten deutschen Sprachraum bekannt für Ihre sa- tirisch spitze Feder und der Kunstgattung des kabarettistischen Chansons, auch eines Georg Kreisler. Wie würden Sie Satire denn erstmal definieren? J. M. Willnauer: Satire ist sehr vielfältig und umfasst im Gegensatz zum Kabarett sämtliche künstlerische Gattungen. Vom Text über die Karikatur bis zur Skulptur und dem Chanson. Man kann sie auch lei- der nicht 100% definieren, sie ist stetig im Wandel. Ein Merkmal ist sicher die Über- treibung und Überzeichnung, ein zwei- tes der Blick aus einer gänzlich anderen Perspektive, der manches noch grotesker erscheinen lässt. Auf jeden Fall ist Satire meiner Einschätzung nach heute wesent- lich schärfer als noch vor 30 oder 40 Jah- ren. Besonders bei kirchlichen Dingen ha- ben sich aufgrund der Missbrauchsvorfälle die Grenzen verschoben. Der Vorwurf der Blasphemie wird heute – zumindest von den christlichen Religionen – kaum mehr erhoben. Niveauvolles Kabarett bedeutet immer, das Publikum als gleichwertigen Dialogpartner zu sehen. Der Funke muss überspringen, man muss sich bemühen, an die Lebenswirklichkeit der Menschen her- anzukommen. Kabarett ist Dialog in gro- ßem Ausmaß, ein Ping-Pong-Spiel ab der ersten Sekunde. Darf heute Satire mehr als früher? Ich bin nicht der Überzeugung, dass Satire alles darf, aber sie darf heute sicher mehr! Gute Satire und gutes Kabarett – die Gren- zen sind ja oft fließend – sollten jedoch im- mer einige Regeln befolgen und das habe ich auch von denGroßen dieser Kunst über- nommen: Sie leben von der Andeutung, die das Publikum zu Ende denkt. Sie erfordern ein gewisses Niveau, das nicht unter die Gürtellinie rutschen darf, nicht abwerten, soll abwechslungsreich sein, amüsieren und vor allem nicht belehren. Als letzte maßgebliche Instanz bleibt dann das Straf- recht, das unser alle Persönlichkeitsrechte gleichermaßen schützen sollte. Aber man soll und darf Politiker und Machthaber durchaus ausgiebig kitzeln, sie auch der Lä- cherlichkeit preisgeben, ihnen einen Spie- gel vorhalten. Was heute vielleicht fehlt ist auch das Salz in der soziologischen Suppe unserer Gesellschaft. Kraus, Grünbaum, Tucholsky, Kreisler, Bronner – sie alle ka- men aus einer Gesellschaftsschicht, einem jüdischen Milieu, aber dennoch säkular, das es heute so nicht mehr gibt. Aber auch Politiker zerren mitunter hef- tig an Beinkleidern, um diese Gürtellinie noch weiter nach unten zu ziehen. Ist der Aufschrei und das Medienecho groß, folgt der Verweis auf die „Freiheit der Kunst“ und dass es sich ja bloß um eine Form der Satire handle. Niemand darf alles, auch nicht im Namen der verfassungsrechtlich garantierten Frei- heit der Kunst und erst recht nicht unter dem Schutzschirm der Immunität. Frei- heitlich wird ja oft so interpretiert, dass die Regeln für alle anderen gelten, nur nicht für einen selbst. Und jemanden zu diffamieren hat mit Sati- re rein gar nichts zu tun. Ich bin in meinen Programmen auch nicht zimperlich, wurde aber bisher noch nie geklagt. Heute hat durch die Fülle der medialen Ka- näle und TV-Programme die s.g. „Come- dy“ das klassische Kabarett ja beinahe fast weggewischt. Ich nenne es „Blinde Bettler ausrauben“, wenn auf Schwächere losge- hackt wird und Menschen mit dummen Fragen süffisant bloßgestellt werden. Aber es gibt sie, die egoistische, dumpfe und der- be Seite im Menschen, die unter Applaus und dank Quotenhörigkeit nur die niede- ren Instinkte bedient. Satire Satire ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typische Stilmittel der Satire sind die Übertreibung als Überhöhung oder die Untertreibung als bewusste Bagatellisierung bis ins Lächerliche oder Absurde . J. M. Willnauer Manfred Wusser

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